Posts Tagged ‘Verschiedenheit’

Nebelspalter Politik

Weshalb das politische System den Sonderfall Schweiz ausmacht – und weshalb wir gut daran tun, dafür Sorge zu tragen.

Dies gelesen: «Sonderfall Schweiz – 734 Jahre sind genug.» (Quelle: WOZ, 7.8.2025)

Das gedacht: Es ist wieder einmal soweit. Die reaktionäre Linke erklärt das Ende des Sonderfalls Schweiz. Konkreter Anlass dazu bietet dem WOZ-Redaktor der Zollhammer von Trump.

Bedient werden im Artikel von Kaspar Surber die üblichen Klischees aus den 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts:

  • Der Sonderfall wird mit der Vorstellung «von einer schicksalhaften, gottgewollten Auserwähltheit seit 1291» in Verbindung gebracht.
  • Diesem Bild wird eine Schweiz gegenübergestellt, die vom Sklavenhandel und von kolonialer Ausbeutung profitierte und von Grossbanken, die das rassistische südafrikanische Appartheimregime stützten.

Einseitiger geht es nicht. Jeder halbwegs gebildete Mensch weiss, dass die Schweiz seit jeher mit der ganzen Welt verbunden ist. Ein Beispiel dafür ist St.Gallen, die Heimatstadt des WOZ-Autors.

  • Im 9. und 10. Jahrhundert war das Kloster St.Gallen eines der kulturellen Zentren des deutschsprachigen Raums.
  • Ab dem 15. Jahrhundert verkauften St.Galler Leinwandhändler ihre hochwertigen Produkte in ganz Europa.
  • In der zweiten Hälfte des 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts eroberte die St.Galler Stickerei die Welt. Die wichtigsten Exportländer waren Frankreich und die USA.

Die Schweiz hat nie als einsame Insel funktioniert. Schon immer verdienten wir unseren Wohlstand im engen Austausch mit unseren Nachbarländern und der weiten Welt. Gemäss dem KOF Globalisierungsindex gehört die Schweiz heute zu den am stärksten globalisierten Ländern. Dabei versteht sich von selbst, dass es in dieser jahrhundertelangen Geschichte auch dunkle Kapitel gibt.

Die Alleinstellungsmerkmale

Nur, darum geht es nicht. Nicht die weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungen mit all ihren Sonnen- und Schattenseiten, sondern das politische System macht den Sonderfall Schweiz aus.

Um dies zu verstehen, genügt ein Blick auf die offizielle Bezeichnung unseres Bundesstaates: Schweizerische Eidgenossenschaft. Der «Eid» und die «Genossenschaft» sind die ursprünglichen Alleinstellungsmerkmale unserer Gemeinwesen.

  1. Der Eid. Als höchste Form der Selbstverpflichtung eines Menschen stand der gemeinsame Schwur der alten Eidgenossen im Gegensatz zum Untertaneneid feudaler Herrschaften. Der Treueschwur galt den Miteidgenossen und nicht einem Herrscher. Angesprochen ist mit der paritätisch-horizontalen Bindung das Prinzip der gegenseitigen Selbsthilfe.
  2. Die Genossenschaft. Dem Genossenschaftsgedanken entsprechend war die alte Eidgenossenschaft als eine Verbindung von unterschiedlichen, aber gleichberechtigten Stadt- und Länderorten organisiert. Voraussetzung und Zielsetzung der Mitgliedschaft in der Eidgenossenschaft war nicht die Angleichung der politischen Systeme der einzelnen Orte. Der Respekt vor den unterschiedlichen Verfassungsstrukturen und der Verzicht auf eine starke Zentralgewalt machten das Besondere der Eidgenossenschaft aus.

Von unten nach oben

Mit dem Bundesstaat von 1848 gelang es, wesentliche Elemente der alten Eidgenossenschaft in das industrielle Zeitalter zu überführen. Die neue Bundesverfassung war kein Bruch mit der Vergangenheit.

  • Durch den Fortbestand der eidgenössischen Orte als eigenständige Kantone und ein Parlament mit zwei gleichberechtigten Kammern verbanden die Verfassungsgeber das nationale mit dem föderalistischen Prinzip.
  • Verstärkt wurde diese Kontinuität mit der Einführung der direkten Demokratie im Jahre 1874. Nun hatte das Volk auch bei Sachentscheiden das letzte Wort.

Die alte Eidgenossenschaft und den Bundesstaat von 1848 verbindet das genossenschaftliche Staatsverständnis. Unsere Gemeinwesen sind von unten nach oben aufgebaut. Dieses staatspolitische Organisationsprinzip unterscheidet die Schweiz fundamental von allen ihren Nachbarländern und macht den Sonderfall aus.

Entwaffnende Ehrlichkeit

Immerhin, in einem Punkt hat der WOZ-Autor Respekt verdient. Mit entwaffnender Ehrlichkeit spricht er an, was es braucht, um den Sonderfall Schweiz zu entsorgen: «Die vordringliche Reaktion auf den Zollstreit ist (…) der Abschluss der Bilateralen III.»

  • Ganz anders der Bundesrat und die bürgerlichen Befürworter des EU-Vertragspakets, die ohne rot zu werden behaupten, dass sich mit der institutionellen Anbindung der Schweiz an die EU im Grunde genommen nichts ändert.
  • Das Gegenteil ist richtig. Mit der Übernahme von EU-Recht und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verabschieden wir uns vom politischen Sonderfall Schweiz. Die Macht verlagert sich in Richtung von Verwaltung und Gerichten. Auf der Strecke bleiben zu einem wichtigen Teil die direkte Demokratie, der Föderalismus und das Milizsystem.

Die Eidgenossenschaft hat Zukunft

Mit der Annahme des EU-Vertragspakets verabschieden wir uns nicht nur vom Sonderfall, sondern riskieren gleichzeitig das Erfolgsmodell Schweiz.

Denn eines ist offensichtlich. Der Schweiz geht es besser als ihren Nachbarstaaten. Die Menschen sind wohlhabender, die Regierungen stabiler, der Staat weit weniger verschuldet, die politische Auseinandersetzung entspannter.

In dieser Erfolgsgeschichte kommt den institutionellen Besonderheiten der Schweiz entscheidende Bedeutung zu:

  • Dank der direkten Demokratie und der Autonomie der Kantone und Gemeinden funktionieren in der Schweiz der Wettbewerb der Ideen und die Integration von politischen Minderheiten.
  • Dies im Gegensatz zu all denjenigen Gemeinwesen, die – mit den Worten von Hayek – die ganze Gesellschaft zu einer einzigen Organisation machen, die nach einem einzelnen Plan entworfen und geleitet wird.

Vieles spricht dafür, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird. Ein von unten nach oben aufgebautes Gemeinwesen ist weit besser auf die Herausforderungen einer fragmentierten Gesellschaft vorbereitet als zentralverwaltete politische Systeme. Verschiedenheit lässt sich nur mit Verschiedenheit bewältigen. Die Eidgenossenschaft hat Zukunft. Wir tun gut daran, dem Sonderfall Schweiz Sorge zu tragen.

Erstpublikation am 26.8.2025 auf www.nebelspalter.ch

Politik

Braucht die FDP eine gemeinsame Linie?

Die politischen Parteien in der Schweiz sind von unten nach oben aufgebaut. Sie widerspiegeln unsere dezentrale Grundordnung und die Besonderheiten der direkten Demokratie.

Dies gelesen: «Die FDP steht vor einer Zerreissprobe: Die Europafrage rührt an einem alten Trauma.» (Quelle: tagblatt.ch, 3.5.2025)

Das gedacht: Die Sache ist nicht ganz einfach. Laut Medienberichten umfasst das Vertragspaket der Schweiz mit der EU rund 1500 Seiten. Da verliert man rasch einmal die Übersicht.

Dies weiss auch der Bundesrat. Deshalb wird alles unternommen, um die politische Auseinandersetzung bereits im Vorfeld der parlamentarischen Diskussion in die gewünschte Richtung zu lenken. Dazu gehörte, dass in einer ersten Phase nur ausgewählten Politikerinnen und Politikern eine privilegierte Einsicht in das Vertragswerk gewährt wurde.

Zu diesen Manövern gehört aber auch die Frage des Ständemehrs. Noch bevor das Volk und die Kantone – je nach politischer Agenda – die Bilateralen III, respektive das Rahmenabkommen 2.0 kennen, teilt uns der Bundesrat mit, dass die ganze Angelegenheit keinen Verfassungsrang hat.

Wirtschaftspolitiker vs. Staatspolitiker

Im Grunde genommen ist die Ausgangslage aber alles andere als kompliziert. Auch für die FDP. Es stehen sich zwei grundsätzliche Überzeugungen gegenüber:

Auf der einen Seite die Wirtschaftspolitiker. Für sie dreht sich fast alles um die Frage des Binnenmarktes. Aus ihrer Sicht führt mit Blick auf die Interessen des Wirtschaftsstandorts und der Unternehmen kein Weg an der dynamischen Übernahme von Gesetzen und Verordnungen der Europäischen Union und eine Unterstellung unter den Europäischen Gerichtshof vorbei.

Im Gegensatz dazu die Staatspolitiker. Sie gewichten die institutionellen Besonderheiten der Schweiz wie die direkte Demokratie, den Föderalismus oder das Milizsystem stärker als kurzfristige wirtschaftlichen Interessen. Nach ihrer Überzeugung ist ein von unten aufgebautes Gemeinwesen zukunftstauglicher als zentralverwaltete politische Systeme. more

Politik Wissen

Die Eidgenossenschaft als Staatsidee hat Zukunft

Interview: Dr. phil. Stephan Ziegler, Chefredaktor MetroComm AG

In den letzten Jahren ging es in Ihren Publikationen regelmässig um die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der digitalen Gesellschaft. Ihr aktuelles Buch setzt sich nun aber mit der Eidgenossenschaft als Staatsidee auseinander. Haben Sie vom Vorwärtsgang in den Rückwärtsgang umgeschaltet?

Nein, überhaupt nicht. Auch in meinem aktuellen Text gehe ich der Frage nach, was die digitale Revolution für unsere Institutionen bedeutet. Dies in der Überzeugung, dass neue Zeiten neue Antworten brauchen.

Was macht denn nach Ihrer Ansicht diese «neue Zeit» so besonders?

Die Digitalisierung, aber auch die Globalisierung und die Migration bewirken eine zunehmende Ausdifferenzierung sozialer Beziehungen. Die immer wieder beklagte Fragmentierung aller Lebensbereiche ist nicht das Problem, sondern das Wesen der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Fragmentierte soziale Strukturen treten an die Stelle einer bisher zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung hochgehaltenen Einheitlichkeit von Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt.

Das tönt nun aber etwas sehr theoretisch. Was bedeutet das in der Praxis?

Der Versuch, die Unsicherheiten einer sich verändernden Welt mit immer mehr Vorschriften und Kontrollen, mit dem Ausbau der öffentlichen Verwaltung und staatlich finanzierten Programmen in den Griff zu bekommen, scheitert an der Komplexität einer fragmentierten Gesellschaft. Dies zeigen die allgegenwärtigen politischen Krisen, die explodierenden Staatsschulden und der Vertrauensverlust in die politischen Institutionen. Verschiedenheit lässt sich nur mit Verschiedenheit bewältigen.

Und was hat die alles mit der Eidgenossenschaft als Staatsidee zu tun? more

Politik Wissen

Das Gebot der Stunde heisst Entstaatlichung

Die Bevölkerung Europas verhält sich wie reiche Erben. Man optimiert sein persönliches Wohlbefinden und konsumiert die von den Vorfahren erarbeiteten Errungenschaften. Obwohl in vielfacher Hinsicht besser unterwegs als die meisten EU-Staaten gilt dies auch für die Schweiz. Ohne die Rückbesinnung auf die wesentlichen Aspekte einer unternehmerischen Gesellschaft verlieren wir den Anschluss an die weltweite wirtschaftliche Entwicklung.

Dies gelesen: «Europa ist nur noch ein Zuschauer». (Wolodimir Selenski am WEF, Quelle: www.blick.ch)

Das gedacht: Selenski fordert ein starkes Europa. Dagegen gibt es nichts einzuwenden. Selenski übersieht allerdings, dass militärische Stärke nicht gratis zu haben ist. Ohne eine erfolgreiche Wirtschaft läuft nichts. Und diesbezüglich sieht es für Europa alles andere als hoffnungsvoll aus.

62 der 100 teuersten Unternehmen haben ihren Sitz in den USA. Noch einseitiger sieht es an der Spitze der Rangliste aus. Kein einziges europäisches Unternehmen schafft es unter die weltweiten Top 10. Neun der zehn wertvollsten Konzerne kommen aus den Vereinigten Staaten.

Mit drei Unternehmen ist die Schweiz ist in dieser Rangliste gut vertreten. Gleich wie Deutschland. Noch bemerkenswerter: Im Verhältnis zur Einwohnerzahl gibt es in der Schweiz fast doppelt so viele Top 100-Unternehmen wie in den USA.

Allerdings, wie das übrige Europa verlieren auch die grossen Drei der Schweiz an relativer Bedeutung. Im Jahre 2007, vor der weltweiten Finanzkrise, hatten 46 der 100 wertvollsten Unternehmen der Welt ihren Sitz in Europa. Heute sind es noch 18. more

Politik Wissen

Politische Massnahmen, die aus Selbständigerwerbenden Befehlsempfänger machen, zerstören den Unternehmergeist.

Jeder staatliche Eingriff, der die Unternehmerinnen und Unternehmer in ihrer Entscheidungsfreiheit einschränkt, beschädigt diese in ihrem Streben nach Unabhängigkeit, nach Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. Regulierung und Bürokratie sind die ganz grossen Motivations-Killer.

Dies gelesen: «Interessant ist, dass Geld und höheres Ansehen für Gründungspersonen in der Schweiz eine sehr kleine Rolle spielen. Vielmehr stehen intrinsische, persönliche Motive wie Unabhängigkeit und Durchsetzung eigener Ideen im Vordergrund.» (Quelle: Die neuen Selbständigen 2020, Forschungsbericht)

Das gedacht: Seit mehr als zwanzig Jahren untersucht die Fachhochschule Nordwestschweiz die Gründerszene der Schweiz. Verändert hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren erfreulicherweise der Frauenanteil. Dieser hat sich ziemlich genau verdoppelt. Hinter knapp einem Drittel der neugegründeten Unternehmen stehen Frauen. Ebenfalls gestiegen ist die Zahl der Unternehmensgründer mit einem akademischen Abschluss. Angesichts der starken Zunahme an Hochschulabsolventen keine Überraschung.

Im Übrigen aber hat sich kaum etwas bewegt. Die durchschnittliche Gründerperson ist etwas mehr als vierzig Jahre alt. Die neuen Unternehmen sind klein und bleiben klein. Unterstützung kommt bei der Gründung in erster Linie von der Familie, von Bekannten und Verwandten. Vergleichbares gilt, wenn bei auftretenden Schwierigkeiten externe Unterstützung gesucht wird. Bei der Finanzierung kommen zusätzlich Banken und Risikokapitalgeber ins Spiel.

Privat statt Staat

Kaum Bedeutung kommt bei Unternehmensgründungen den öffentlichen Gemeinwesen zu. Nur bei 6% der Gründerinnen und Gründer spielen staatliche Stellen eine unterstützende Rolle. Ein noch tieferer Wert als vor 10 Jahren (2009: 8%). Auch bei auftretenden Schwierigkeiten werden öffentliche Unterstützungsangebote kaum genutzt. more

Politik Wissen

Fragmentierung ist nicht das Problem, sondern das Wesen der digitalen Gesellschaft.

Die Politik muss sich von ihrem Anspruch auf Totalverwaltung verabschieden. Verschiedenheit lässt sich nur mit Verschiedenheit bewältigen.

Dies gelesen: «In der heutigen Welt kommt es auf Grösse an.» (EU-Kommissar Maros Sefcovic, in: NZZ, 19.3.2024)

Das gedacht: Für EU-Kommissar Maros Sefcovic steht fest, dass für die Schweiz kein Weg an einer institutionellen Anbindung an die EU vorbeiführt. Dies aus einem einfachen Grund: Gut ist, was gross ist. Eine Vorstellung, die nicht nur EU-Politiker auszeichnet. Nur, stimmt dies? Liegt, wie Sefcovic behauptet, die Zukunft in möglichst grossen Organisationen?

Die Fakten jedenfalls sprechen eine andere Sprache. Der Trend geht nicht in Richtung grosser politischer Einheiten. Von 1900 bis heute stieg die Zahl der Staaten von weltweit 50 auf knapp 200. Im 20. Jahrhundert entstand alle neun Monate ein neuer Staat. Auch im 21. Jahrhundert setzt sich die Staatenvermehrung fort, wenn auch verlangsamt. Egbert Jahn spricht von der wundersamen Vermehrung der Nationalstaaten im Zeitalter der Globalisierung.

Grösse ist auch keine Garantie für Wohlstand. Im Gegenteil. 16 der 20 Länder mit dem grössten kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf im Jahr 2022 haben weniger als 10 Millionen Einwohner.

Und Grösse macht erst recht nicht glücklich. Gemäss dem World Happiness Report gehört zu den zehn Staaten mit den glücklichsten Menschen kein einziger Grossstaat. Bei den Top Ten liegt der Durchschnitt bei 7.1 Millionen Einwohnern. more

Politik

Anmassung von Wissen

Heute heisst es: In Bundesbern muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland. Eine Direktive, die zum Scheitern verurteilt ist. Nicht nur in der Klimapolitik.

Dies gelesen: «Der Bund sorgt dafür, dass die Wirkung der in der Schweiz anfallenden von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 Null beträgt.» (Quelle: Art. 3 Abs. 1 Klimaschutzgesetz)

Das gedacht: Der Bund nimmt die Sache in die Hand. So steht es im Klimaschutzgesetz, über das wir im Sommer abstimmen. Er kann es. Dies trifft erfahrungsgemäss dann zu, wenn es um das Tagesgeschäft geht. Unsere Nationalstrassen, der Bau von Eisenbahntunnels, aber auch die Steuerverwaltung, die Mehrwertsteuerkontrolle, das Verteilen von Subventionen an die Landwirtschaft, Sportverbände oder die Kultur, dies alles funktioniert vergleichsweise gut.

Anders sieht es aus, wenn die Herausforderung nicht im Verwalten der Gegenwart, sondern im Gestalten der Zukunft liegt. In die Coronapandemie und in die neutralitätspolitischen Herausforderungen des Ukrainekriegs stolperte der Bundesrat mehr oder weniger unvorbereitet hinein. Digitalisierungsprojekte scheitern. Auf das elektronische Patientendossier warten wir seit dem Jahre 2007. In der Altersvorsorge und im Gesundheits- und Pflegebereich herrscht ein riesiger Reformstau. Die Umlagerungsziele des Alpenschutzartikels sind nicht einmal das Papier wert, auf dem sie geschrieben wurden. Die Energiestrategie 2050 entpuppt sich wenig überraschend als Rohrkrepierer. Das leichtsinnige Spiel mit der Versorgungssicherheit gefährdet unsere Zukunft. Und nun will uns das Parlament mit dem Klimaschutzgesetz weismachen, dass der Bund dafür sorgen wird, dass bis ins Jahr 2040 im Sektor Gebäude die Treib­haus­gasemissionen um 82 Prozent (und nicht 81 und auch nicht 83 Prozent) und im Sektor Verkehr um 57 Prozent vermindert werden. Mehr Selbstüberschätzung geht nicht. more

Politik

Ohne Widerspruch kein Fortschritt

Den Stillstand der Ostschweiz werden wir nur überwinden, wenn wir endlich zu einer vernünftigen Streitkultur finden und links wie rechts, in unseren Parteien und Verbänden versteckte Denk- und Redeverbote hinter uns lassen.

Dies gelesen: «Wir gehen nicht unter in den Niederlagen, sondern in den Auseinandersetzungen, die wir nicht führen.» (Quelle: Beschriftung über der Eingangstüre zur Brasserie Lorraine, www.nzz.ch, 30.11.2022)

Das gedacht: Lang, lang, ist’s her. In den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verdiente ich mein Taschengeld als Securitas-Wächter an der OLMA. In Erinnerung geblieben ist auch die Fahrt mit dem Sonderzug an die Messe Comptoir in Lausanne. St.Gallen war Gastkanton, die Knabenmusik St.Gallen Teil des Festprogramms. Grosse Messen prägten auch meine ersten Jahre als Unternehmer. Die Internationale Konsumgütermesse in Frankfurt war ein Muss.

Seither hat sich vieles verändert. Die Digitalisierung bestimmt zunehmend die Art und Weise wie wir kommunizieren, einkaufen und uns unterhalten. Der damit verbundene gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandel hinterlässt tiefe Spuren in der Messelandschaft. Grosse Schweizer Publikumsmessen wie Comptoir, Muba, Züspa und der Autosalon in Genf sind Geschichte. Die Frankfurter Messe ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. more

Politik

Der Wunsch ist der Vater des Gedankens

Wir werden zunehmend von Persönlichkeiten regiert, die in ihrem Leben nie etwas anderes als Konzepte, Studien, Berichte und Protokolle produziert haben. Hoffnung auf Besserung gibt es nicht. Mit Ueli Maurer verlässt der letzte Bundesrat mit einer Berufslehre die Regierung.

Dies gelesen: «Wenn sie es wollen, können sie das erreichen.» (Quelle: Bundesrätin Viola Amherd, zitiert in NZZ, 2.11.2022)

Das gedacht: Anfangs Jahr schickte das Bundesamt für Sport die überarbeitete Sportförderungsverordnung in die Vernehmlassung. Diese sah vor, dass sich bis Ende 2024 der Frauenanteil in den Gremien von Sportverbänden auf mindestens 40 Prozent erhöhen muss. Im Interesse der Gleichstellung der Geschlechter. Wer nicht spurt, bekommt vom Bund keine Beiträge mehr.

Eine absurde Idee. Nicht nur mit Blick auf traditionell männerlastige Sportarten. Insbesondere negierte das Bundesamt die Tatsache, dass bereits heute viele Verbände Mühe haben, ihre Gremien mit ehrenamtlich tätigen Mitarbeitenden zu besetzen. Die meisten Sportverbände können die Quotenforderung gar nicht erfüllen. Nur, dies interessiert die für das Bundesamt für Sport verantwortliche Bundesrätin Amherd nicht. Auf kritische Kommentare reagierte sie mit der lapidaren Bemerkung, dass alles nur eine Frage des Wollens sei.

In der Zwischenzeit wird diese versalzene Suppe nicht mehr so heiss gegessen, wir sie einst gekocht wurde. Die Vernehmlassung bei den Sportverbänden fiel derart negativ aus, dass selbst die quotenverliebte Oberwalliserin zurückrudern musste. Heute spricht das Bundesamt für Sport nur noch von «sachgerechten Vorgaben» und von einer Umsetzung mit «Augenmass».

Nun geht es bei der Frage, nach welchen Kriterien beispielsweise Swiss Badminton oder der Verband von Jungwacht und Blauring mit staatlichen Geldern ausgestattet werden, nur um einen Nebenschauplatz. Der ursprüngliche Plan von Amherd lässt jedoch tief blicken und erklärt vieles, was in Bundesbern aus dem Ruder läuft. more

Politik

Was nicht sein darf, kann nicht sein

Gezielt lückenhafte Artikel in den traditionellen Medien machen den Erfolg alternativer Kommunikationsformen erst möglich. Köppel, Wagenknecht und Co. finden ihr Publikum nicht trotz, sondern dank der selektiven Berichterstattung in den Leitmedien.

Dies gelesen: «Tiktok, Erklärvideos, Instagram oder die gute alte Website – mit vielen Mitteln versuchen die Parteien im Wahljahr, ihre Botschaften direkt bei den Wählern zu platzieren.» (Quelle: Tages-Anzeiger, 26.10.2022)

Das gedacht: In einem ganzseitigen Artikel mit grossem Foto begleitete kürzlich die Tagi-Redaktion den Start des neuen Videoblogs der SP-Doppelspitze. Mehr Gratis-Werbung geht nicht. Mit ihrem Podcast möchten Meyer und Wermuth die Überlegungen der SP «auf eine Art und Weise erzählen, die Leute interessiert.» Offensichtlich traut man dies den traditionellen Medien nicht zu.

Im Tagi-Artikel wird zu Recht festgestellt, dass immer mehr Politikerinnen und Politiker versuchen, mit Videoblogs, auf TikTok oder Instgram die Wählerinnen und Wähler direkt anzusprechen. Eigene Kanäle sind der Zeitgeist, so Lorenz Furrer von der PR- und Lobbyagentur Furrerhugi in Bern. So können gezielt eigene Themen bewirtschaftet und die eigenen «Stakeholder» bedient werden,

Im Grunde genommen Schnee von gestern. Bemerkenswert ist denn auch weder der Artikel an sich noch sind es die angeführten Beispiele für das veränderte Kommunikationsverhalten der Politik. Neben der SP-Spitze, die es nach Erscheinen des Tagi-Artikels mit ihrem neuen Format von 2000 auf immerhin 5000 Klicks brachte, wird Nationalrat Andri Silberschmidt genannt. Der junge Strahlemann der Zürcher FDP hat auf Tiktok 13’000 Follower. Den Ehrenpreis erhält Teleblocher mit rund 15’000 Userinnen und Usern. more