Posts Tagged ‘Föderalismus’

Nebelspalter Politik

Economiesuisse: Wenn die direkte Demokratie zur Nebensache wird

Dies gelesen: «Die innerstaatlichen Genehmigungsverfahren sind vorbehalten und entsprechende Fristen sind garantiert (…). Damit bleiben sämtliche verfassungsrechtlichen Erfordernisse der Schweiz gewahrt, inklusive die Volksrechte. (Quelle: economiesuisse, Vernehmlassung Paket Schweiz-EU)

Das gedacht: Der Vorstand von economiesuisse unterstützt das EU-Vertragspaket. Ohne Wenn und Aber. Besonders angetan ist man von der dynamischen Rechtsübernahme. Diese, so economiesuisse, liegt im wirtschaftlichen Interesse der Schweiz.

Nicht angesprochen wird in der Vernehmlassung von economiesuisse das Spannungsfeld von dynamischer Rechtsübernahme und direkter Demokratie. Man begnügt sich mit der Feststellung, dass die verfassungsrechtlichen Erfordernisse gewahrt bleiben. Eine Verkürzung der direkten Demokratie auf den Abstimmungssonntag, die jedes Verständnis für das politische System der Schweiz vermissen lässt.

Zwangsheirat statt Liebesbeziehung

Wer sich allerdings mit der Geschichte der Volksrechte befasst, den kann das fehlende Verständnis von economiesuisse für den politischen Sonderfall Schweiz nicht wirklich überraschen. Seit jeher gleicht das Verhältnis der Spitzenverbände der Wirtschaft zur direkten Demokratie mehr einer Zwangsheirat als einer Liebesbeziehung:

  • Die Einführung des fakultativen Gesetzesreferendums im Jahre 1874 richtete sich gegen das «System Escher». Alfred Escher, visionärer Wegbereiter der modernen Schweiz, dreifacher Nationalratspräsident, Eisenbahnpionier und Gründer der ETH, der Schweizerischen Kreditanstalt und der Rentenanstalt verkörperte wie kein anderer im jungen Bundesstaat die wirtschaftliche und politische Machtkonzentration in den Händen einer freisinnig-liberalen Elite. Dagegen setzte sich die direktdemokratische Bewegung zur Wehr.
  • Dem eigenen Selbstverständnis entsprechend vertraute der Vorort, der 1870 gegründete Spitzenverband von Industrie und Handel, auf Absprachen hinter verschlossenen Türen. Der Vorort-Direktor verstand sich als achter Bundesrat. Die direktdemokratische Auseinandersetzung überliess man mit vornehmer Zurückhaltung den Bodentruppen von Gewerkschaften und Gewerbeverband.
  • Trotz veränderter politischer Rahmenbedingungen hat sich bis heute daran nichts geändert. Economiesuisse, die Nachfolgeorganisation des Vororts, hat noch nie eine eigene Volksinitiative oder ein eigenes Referendum lanciert. Economiesuisse und der Schweizerische Arbeitgeberverband sind nicht referendumsfähig.
  • Verstärkt wird die Distanz der Konzernwirtschaft zur direkten Demokratie durch die Tatsache, dass die Hälfte der Geschäftsleitungsmitglieder der 100 grössten Arbeitgeber keinen Schweizer Pass Für viele ausländische Konzernmanager ist das politische System der Schweiz mit seinen Initiativen und Referenden, mit dem Föderalismus und dem Milizsystem in Politik und Armee ein Buch mit sieben Siegeln.

Einzigartige Stabilität

Für economiesuisse ist die direkte Demokratie bestenfalls Nebensache. Eine Haltung, die der besonderen Bedeutung des politischen Systems für den wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz nicht gerecht wird:

  • Die direkte Demokratie zwingt die Politik zu einer umfassenden Beteiligung aller relevanten politischen Akteure. Dazu gehört die Vielparteienregierung. Brandmauern als Mittel des Machterhalts funktionieren nicht.
  • Das Initiativrecht durchbricht das Anbieter-Monopol der etablierten Parteien und ermöglicht, im parlamentarischen Prozess nicht berücksichtigte Anliegen und insbesondere neue Themen frühzeitig auf die politische Agenda zu setzen.
  • Referenden garantieren, dass umstrittene Gesetzesvorlagen von der Mehrheit des Stimmvolks getragen werden. Bei uns gibt es keinen Green Deal und kein Heizungsgesetz, das gegen die Mehrheit der Bevölkerung verabschiedet werden kann.

Die Konsensorientierung ist eine unmittelbare Folge der direkten Demokratie. Der breit abgestützte Kompromiss macht den Unterschied und erklärt nicht nur die einzigartige Stabilität des politischen Systems, sondern auch die mit dieser Stabilität verbundene Attraktivität der Schweiz als Unternehmensstandort.

Schmerzliche Niederlagen

In der jüngeren Vergangenheit musste die Wirtschaft an der Urne zahlreiche schmerzliche Niederlagen akzeptieren. Erinnert sei etwa an die Reform der beruflichen Vorsorge, die Vorlage für den Autobahnausbau oder die 13. AHV-Rente. Selbst der extremen Konzernverantwortungsinitiative stimmten 50,7 Prozent des Stimmvolkes zu.

Economiesuisse, der Schweizerische Arbeitgeberverband und zunehmend auch der Gewerbeverband dringen mit ihren Argumenten nicht mehr bis zu den Stimmbürgern durch. Viele sprechen von Entfremdung.

Eine Fehlentwicklung, die sich im Zusammenhang mit dem EU-Vertragspaket zu wiederholen droht. Ein economiesuisse-Vorstand, der die institutionelle Anbindung der Schweiz an die EU mit 69 JA und nur einer Gegenstimme durchwinkt, hat nicht nur den Kontakt mit der Bevölkerung, sondern auch die Nähe zu vielen Unternehmen verloren.

Und damit sind wir wieder bei Alfred Escher. Dieser stand am Ende seiner glanzvollen Karriere isoliert und ohne politischen Einfluss da.

Seit jeher gilt, dass man die Schweiz nicht von oben herab regieren kann. Eine Erfahrung, die uns von allen unseren Nachbarländern und der EU unterscheidet.

Die dynamische Übernahme von EU-Recht und die Stellung des EU-Gerichtshofs im Streitfall stehen im Widerspruch zur politischen Kultur der Schweiz. Auf der Strecke bleiben der politische Sonderfall und die damit verbundene Standortattraktivität. Eine Entwicklung, an der weder die «economie» noch die «suisse» interessiert sein können.

Erstpublikation am 7.10.2025 auf www.nebelspalter.ch

Nebelspalter Politik

Weshalb das politische System den Sonderfall Schweiz ausmacht – und weshalb wir gut daran tun, dafür Sorge zu tragen.

Dies gelesen: «Sonderfall Schweiz – 734 Jahre sind genug.» (Quelle: WOZ, 7.8.2025)

Das gedacht: Es ist wieder einmal soweit. Die reaktionäre Linke erklärt das Ende des Sonderfalls Schweiz. Konkreter Anlass dazu bietet dem WOZ-Redaktor der Zollhammer von Trump.

Bedient werden im Artikel von Kaspar Surber die üblichen Klischees aus den 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts:

  • Der Sonderfall wird mit der Vorstellung «von einer schicksalhaften, gottgewollten Auserwähltheit seit 1291» in Verbindung gebracht.
  • Diesem Bild wird eine Schweiz gegenübergestellt, die vom Sklavenhandel und von kolonialer Ausbeutung profitierte und von Grossbanken, die das rassistische südafrikanische Appartheimregime stützten.

Einseitiger geht es nicht. Jeder halbwegs gebildete Mensch weiss, dass die Schweiz seit jeher mit der ganzen Welt verbunden ist. Ein Beispiel dafür ist St.Gallen, die Heimatstadt des WOZ-Autors.

  • Im 9. und 10. Jahrhundert war das Kloster St.Gallen eines der kulturellen Zentren des deutschsprachigen Raums.
  • Ab dem 15. Jahrhundert verkauften St.Galler Leinwandhändler ihre hochwertigen Produkte in ganz Europa.
  • In der zweiten Hälfte des 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts eroberte die St.Galler Stickerei die Welt. Die wichtigsten Exportländer waren Frankreich und die USA.

Die Schweiz hat nie als einsame Insel funktioniert. Schon immer verdienten wir unseren Wohlstand im engen Austausch mit unseren Nachbarländern und der weiten Welt. Gemäss dem KOF Globalisierungsindex gehört die Schweiz heute zu den am stärksten globalisierten Ländern. Dabei versteht sich von selbst, dass es in dieser jahrhundertelangen Geschichte auch dunkle Kapitel gibt.

Die Alleinstellungsmerkmale

Nur, darum geht es nicht. Nicht die weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungen mit all ihren Sonnen- und Schattenseiten, sondern das politische System macht den Sonderfall Schweiz aus.

Um dies zu verstehen, genügt ein Blick auf die offizielle Bezeichnung unseres Bundesstaates: Schweizerische Eidgenossenschaft. Der «Eid» und die «Genossenschaft» sind die ursprünglichen Alleinstellungsmerkmale unserer Gemeinwesen.

  1. Der Eid. Als höchste Form der Selbstverpflichtung eines Menschen stand der gemeinsame Schwur der alten Eidgenossen im Gegensatz zum Untertaneneid feudaler Herrschaften. Der Treueschwur galt den Miteidgenossen und nicht einem Herrscher. Angesprochen ist mit der paritätisch-horizontalen Bindung das Prinzip der gegenseitigen Selbsthilfe.
  2. Die Genossenschaft. Dem Genossenschaftsgedanken entsprechend war die alte Eidgenossenschaft als eine Verbindung von unterschiedlichen, aber gleichberechtigten Stadt- und Länderorten organisiert. Voraussetzung und Zielsetzung der Mitgliedschaft in der Eidgenossenschaft war nicht die Angleichung der politischen Systeme der einzelnen Orte. Der Respekt vor den unterschiedlichen Verfassungsstrukturen und der Verzicht auf eine starke Zentralgewalt machten das Besondere der Eidgenossenschaft aus.

Von unten nach oben

Mit dem Bundesstaat von 1848 gelang es, wesentliche Elemente der alten Eidgenossenschaft in das industrielle Zeitalter zu überführen. Die neue Bundesverfassung war kein Bruch mit der Vergangenheit.

  • Durch den Fortbestand der eidgenössischen Orte als eigenständige Kantone und ein Parlament mit zwei gleichberechtigten Kammern verbanden die Verfassungsgeber das nationale mit dem föderalistischen Prinzip.
  • Verstärkt wurde diese Kontinuität mit der Einführung der direkten Demokratie im Jahre 1874. Nun hatte das Volk auch bei Sachentscheiden das letzte Wort.

Die alte Eidgenossenschaft und den Bundesstaat von 1848 verbindet das genossenschaftliche Staatsverständnis. Unsere Gemeinwesen sind von unten nach oben aufgebaut. Dieses staatspolitische Organisationsprinzip unterscheidet die Schweiz fundamental von allen ihren Nachbarländern und macht den Sonderfall aus.

Entwaffnende Ehrlichkeit

Immerhin, in einem Punkt hat der WOZ-Autor Respekt verdient. Mit entwaffnender Ehrlichkeit spricht er an, was es braucht, um den Sonderfall Schweiz zu entsorgen: «Die vordringliche Reaktion auf den Zollstreit ist (…) der Abschluss der Bilateralen III.»

  • Ganz anders der Bundesrat und die bürgerlichen Befürworter des EU-Vertragspakets, die ohne rot zu werden behaupten, dass sich mit der institutionellen Anbindung der Schweiz an die EU im Grunde genommen nichts ändert.
  • Das Gegenteil ist richtig. Mit der Übernahme von EU-Recht und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verabschieden wir uns vom politischen Sonderfall Schweiz. Die Macht verlagert sich in Richtung von Verwaltung und Gerichten. Auf der Strecke bleiben zu einem wichtigen Teil die direkte Demokratie, der Föderalismus und das Milizsystem.

Die Eidgenossenschaft hat Zukunft

Mit der Annahme des EU-Vertragspakets verabschieden wir uns nicht nur vom Sonderfall, sondern riskieren gleichzeitig das Erfolgsmodell Schweiz.

Denn eines ist offensichtlich. Der Schweiz geht es besser als ihren Nachbarstaaten. Die Menschen sind wohlhabender, die Regierungen stabiler, der Staat weit weniger verschuldet, die politische Auseinandersetzung entspannter.

In dieser Erfolgsgeschichte kommt den institutionellen Besonderheiten der Schweiz entscheidende Bedeutung zu:

  • Dank der direkten Demokratie und der Autonomie der Kantone und Gemeinden funktionieren in der Schweiz der Wettbewerb der Ideen und die Integration von politischen Minderheiten.
  • Dies im Gegensatz zu all denjenigen Gemeinwesen, die – mit den Worten von Hayek – die ganze Gesellschaft zu einer einzigen Organisation machen, die nach einem einzelnen Plan entworfen und geleitet wird.

Vieles spricht dafür, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird. Ein von unten nach oben aufgebautes Gemeinwesen ist weit besser auf die Herausforderungen einer fragmentierten Gesellschaft vorbereitet als zentralverwaltete politische Systeme. Verschiedenheit lässt sich nur mit Verschiedenheit bewältigen. Die Eidgenossenschaft hat Zukunft. Wir tun gut daran, dem Sonderfall Schweiz Sorge zu tragen.

Erstpublikation am 26.8.2025 auf www.nebelspalter.ch

Politik

Warum dem Staat das Geld ausgeht und was wir dagegen machen können

Wenn ich das Geld anderer Leute für andere Leute ausgeben kann, interessiert mich nicht, wie viel ich ausgebe, und mich interessiert nicht, was ich für das Geld bekomme. (Milton Friedman)

Dies gelesen: Die Fuss- und Velounterführung kostet gut 8.6 Millionen Franken. Die Stadtkasse muss davon gut 2.7 Millionen selber tragen, da Bund und Kanton Beiträge leisten. (Quelle: tagblatt.ch, 4.4.2024)

Das gedacht: Das Stimmvolk des Kantons St.Gallen hat entschieden. Die befristete Erhöhung des Sonderlastenausgleichs für die Stadt St.Gallen um 3.7 Millionen Franken ist vom Tisch. Die SVP hat sich durchgesetzt.

Die Gegner der Vorlage argumentierten unter anderem mit städtischen Luxusprojekten. Als ein Beispiel musste regelmässig die derzeit in Bau befindliche Velounterführung bei der Kreuzbleiche herhalten.

In der Tat. Knapp 9 Millionen Franken für eine Fuss- und Velounterführung lassen aufhorchen. Allerdings liegt der Grund für den äusserst lockeren Umgang mit Steuergeldern nicht in erster Linie bei der Stadt. Im Gegenteil. Diese hat sich durchaus vernünftig verhalten. Ihr Return on Investment ist beeindruckend.

Und trotzdem, oder gerade deswegen, lohnt es sich, genauer hinzusehen. Das Projekt Beginenweg – so heisst das gendergerecht getaufte Gesamtkunstwerk – hilft zu verstehen, wie die staatliche Ausgabenpolitik funktioniert und weshalb der öffentliche Haushalt ein Fass ohne Boden ist. Die Fehler liegen im System. Dazu gehören die gemischte Finanzierung von sogenannten Verbundaufgaben, die Macht der Verwaltung und die Gesinnungspolitik.

A) Teile und herrsche

Obwohl eine innerstädtische Verbindung wird der Veloweg als sogenannte Verbundaufgabe vom Bund, dem Kanton und der politischen Gemeinde finanziert. Die Stadt St.Gallen bezahlt 2.7 Millionen Franken sowie die Kosten für die Projektentwicklung und die Aufwendungen der VBSG für den Bau neuer Leitungsmasten. Vom Kanton kommen 4.2 Millionen, vom Bund 1.2 Millionen Franken. Für die Stadt ein lohnendes Geschäft. Wenig überraschend stimmte die überwältigende Mehrheit des Stadtparlamentes der Vorlage zu. Einzig die SVP-Fraktion hielt dagegen.

Bereits bei Niccolò Machiavelli hiess es «teile und herrsche». Wenn alle zuständig sind, ist niemand verantwortlich. Eleganter lässt sich politischer Widerstand nicht austricksen. Hätte die Stadt St.Gallen die ganzen 8.6 Millionen Franken bezahlen müssen, dann wäre die Vorlage wohl mit einem Finanzreferendum bekämpft worden.

B) Macht der Verwaltung

Entgegen den Diskussionen im Vorfeld der Abstimmung zum Finanzausgleich ist beim Beginenweg nicht die Stadt, sondern der Kanton St.Gallen mit der ganz grossen Spendierhose unterwegs. Allerdings war es nicht das Kantonsparlament, sondern die Verwaltung, die das Geld der Steuerzahler locker machte.

Bezahlt werden die mehr als 4 Millionen Franken aus dem Strassenfonds. Dieser wird vom Strasseninspektorat des Bau- und Umweltdepartements verwaltet. Nicht der Kantonsrat, sondern Staatsangestellte entscheiden über den ganz grossen Staatsbeitrag.

Wie in vielen Bereichen der Staatstätigkeit liegt auch in diesem Zusammenhang die wirkliche Macht bei der Verwaltung. Die Diskussionen im Stadtparlament dagegen waren nicht viel mehr als politisches Schattenboxen.

C) Gesinnung statt wirtschaftliche Vernunft

Sparsamkeit ist keine Tugend mehr. Vor allem dann, wenn es um das angebliche Gute geht. Dies gilt für das grosse Ganze genauso wie für einzelne Projekte wie den Fuss- und Velofahrertunnel in der Kreuzbleiche.

Das politisch korrekte Etikett «Velofahrer» verdrängt jede Diskussion über das Preis- und Leistungsverhältnis eines Bauprojektes. Geld spielt keine Rolle mehr. Was zählt ist die richtige Gesinnung und nicht die wirtschaftliche Vernunft.

Fiskalische Äquivalenz

Der Bund, der Kanton und die Stadt St.Gallen schreiben rote Zahlen. Die öffentliche Hand hat ein Ausgabenproblem. Dies hat auch damit zu tun hat, dass die einzelnen Gemeinwesen Leistungen beanspruchen können, für die andere zur Kasse gebeten werden.

Eine Ausgangslage, die dem in der Bundesverfassung festgelegten Grundsatz der fiskalischen Äquivalenz widerspricht. Dieser verlangt, dass diejenigen Gemeinwesen die Kosten einer staatlichen Leistung zu tragen haben, in denen der Nutzen anfällt. Wer befiehlt, zahlt. Wer zahlt, befiehlt.

Wie das Beispiel der Fussgänger- und Velounterführung Kreuzbleiche beweist, haben wir uns von diesem verfassungsrechtlichen Grundsatz meilenweit entfernt. Die Stadt St.Gallen beschliesst ein Luxusprojekt, bezahlt wird dieses grossmehrheitlich vom Kanton und dem Bund.

Dass unter diesen Voraussetzungen jede finanzpolitische Zurückhaltung verloren geht, versteht sich von selbst. Wenn ich das Geld anderer Leute für andere Leute ausgeben kann, interessiert mich nicht, wie viel ich ausgebe, und mich interessiert nicht, was ich für das Geld bekomme. So Milton Friedmann.

Monistische Staatsfinanzierung

Ohne radikale Reformen bekommen wir den Staatshaushalt nicht in den Griff. Zu diesen Reformen gehört nach meiner Überzeugung der Übergang zu einer monistischen Staatsfinanzierung. Diese legt fest, dass jede Staatsaufgabe aus einer Hand zu finanzieren ist.

Der Bund bezahlt die Nationalstrassen, die Kantone bezahlen die Kantonsstrassen, die Gemeinden die Gemeindestrassen. Die Transferzahlungen des Bundes an die Kantone aus der Spezialfinanzierung Strassenverkehr (SFSV) und aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF) werden gestrichen. Für jede öffentliche Aufgabe gibt es nur einen Kostenträger. Die gemischte Finanzierung von Verbundaufgaben fällt weg.

Kantone und Gemeinden können nicht länger ihre politischen Vorhaben auf Kosten des Bundeshaushalts vorantreiben. Gemeinden, die ihre Velowege vergolden wollen, stehen selbst in der Verantwortung. Im Gegenzug erhalten die unteren Staatsebenen ihre Autonomie zurück.

Ein radikaler Vorschlag, der eine umfassende Entflechtung der Aufgaben und eine neue Aufteilung der Finanzströme von Bund und Kantonen zur Folge hätte. In seinen Konsequenzen vergleichbar mit dem Übergang vom Staatenbund zum Bundesstaat.

Literatur: Weigelt, K. (2025). Die Eidgenossenschaft im 21. Jahrhundert. Eine alte Idee für eine neue Zeit, Verlag NZZ Libro

Politik

Braucht die FDP eine gemeinsame Linie?

Die politischen Parteien in der Schweiz sind von unten nach oben aufgebaut. Sie widerspiegeln unsere dezentrale Grundordnung und die Besonderheiten der direkten Demokratie.

Dies gelesen: «Die FDP steht vor einer Zerreissprobe: Die Europafrage rührt an einem alten Trauma.» (Quelle: tagblatt.ch, 3.5.2025)

Das gedacht: Die Sache ist nicht ganz einfach. Laut Medienberichten umfasst das Vertragspaket der Schweiz mit der EU rund 1500 Seiten. Da verliert man rasch einmal die Übersicht.

Dies weiss auch der Bundesrat. Deshalb wird alles unternommen, um die politische Auseinandersetzung bereits im Vorfeld der parlamentarischen Diskussion in die gewünschte Richtung zu lenken. Dazu gehörte, dass in einer ersten Phase nur ausgewählten Politikerinnen und Politikern eine privilegierte Einsicht in das Vertragswerk gewährt wurde.

Zu diesen Manövern gehört aber auch die Frage des Ständemehrs. Noch bevor das Volk und die Kantone – je nach politischer Agenda – die Bilateralen III, respektive das Rahmenabkommen 2.0 kennen, teilt uns der Bundesrat mit, dass die ganze Angelegenheit keinen Verfassungsrang hat.

Wirtschaftspolitiker vs. Staatspolitiker

Im Grunde genommen ist die Ausgangslage aber alles andere als kompliziert. Auch für die FDP. Es stehen sich zwei grundsätzliche Überzeugungen gegenüber:

Auf der einen Seite die Wirtschaftspolitiker. Für sie dreht sich fast alles um die Frage des Binnenmarktes. Aus ihrer Sicht führt mit Blick auf die Interessen des Wirtschaftsstandorts und der Unternehmen kein Weg an der dynamischen Übernahme von Gesetzen und Verordnungen der Europäischen Union und eine Unterstellung unter den Europäischen Gerichtshof vorbei.

Im Gegensatz dazu die Staatspolitiker. Sie gewichten die institutionellen Besonderheiten der Schweiz wie die direkte Demokratie, den Föderalismus oder das Milizsystem stärker als kurzfristige wirtschaftlichen Interessen. Nach ihrer Überzeugung ist ein von unten aufgebautes Gemeinwesen zukunftstauglicher als zentralverwaltete politische Systeme. more

Politik Wissen

Die Eidgenossenschaft als Staatsidee hat Zukunft

Interview: Dr. phil. Stephan Ziegler, Chefredaktor MetroComm AG

In den letzten Jahren ging es in Ihren Publikationen regelmässig um die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der digitalen Gesellschaft. Ihr aktuelles Buch setzt sich nun aber mit der Eidgenossenschaft als Staatsidee auseinander. Haben Sie vom Vorwärtsgang in den Rückwärtsgang umgeschaltet?

Nein, überhaupt nicht. Auch in meinem aktuellen Text gehe ich der Frage nach, was die digitale Revolution für unsere Institutionen bedeutet. Dies in der Überzeugung, dass neue Zeiten neue Antworten brauchen.

Was macht denn nach Ihrer Ansicht diese «neue Zeit» so besonders?

Die Digitalisierung, aber auch die Globalisierung und die Migration bewirken eine zunehmende Ausdifferenzierung sozialer Beziehungen. Die immer wieder beklagte Fragmentierung aller Lebensbereiche ist nicht das Problem, sondern das Wesen der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Fragmentierte soziale Strukturen treten an die Stelle einer bisher zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung hochgehaltenen Einheitlichkeit von Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt.

Das tönt nun aber etwas sehr theoretisch. Was bedeutet das in der Praxis?

Der Versuch, die Unsicherheiten einer sich verändernden Welt mit immer mehr Vorschriften und Kontrollen, mit dem Ausbau der öffentlichen Verwaltung und staatlich finanzierten Programmen in den Griff zu bekommen, scheitert an der Komplexität einer fragmentierten Gesellschaft. Dies zeigen die allgegenwärtigen politischen Krisen, die explodierenden Staatsschulden und der Vertrauensverlust in die politischen Institutionen. Verschiedenheit lässt sich nur mit Verschiedenheit bewältigen.

Und was hat die alles mit der Eidgenossenschaft als Staatsidee zu tun? more

Politik Wissen

Corona-Diktat: Politik mit dem Holzhammer

Während der Bundesrat in der Musterdemokratie Schweiz die Freiheitsrechte massiv einschränkte, gab es in Taiwan keinen Lockdown. Universitäten, Schulen, Restaurants und Geschäfte blieben geöffnet, sogar die Fitnessstudios. Und trotzdem gab es in Taiwan nur wenig Ansteckungen und kaum Todesfälle, die mit Covit-19 in Verbindung gebracht werden konnten. Digitale Kompetenzen in der Bekämpfung der Pandemie machen den Unterschied. Wir stehen uns selbst im Weg. Dies zeigt beispielhaft die Leidensgeschichte des elektronischen Patientendossiers.

Die Digitalisierung eröffnet ungeahnte Chancen zur Bewirtschaftung von Verschiedenheit. Die Notwendigkeit der Normierung, der Gleichschaltung und damit der Durchschnitt verlieren an Bedeutung. Nachrichten erreichen uns in enormer Auflösung und über unzählige Quellen. Facebook bietet seinen Nutzern sechzig Möglichkeiten an, das eigene Geschlecht zu benennen. Spotify stellt Top Tracks mit meinem ganz persönlichen Mix aus Outlaw Country, französischen Chansons und klassischer Musik der Romantik zusammen. Eine Kombination, die ausschliesslich für mich funktioniert. Google bedient mich mit personalisierten News und personalisierter Werbung. Über Aktivitätseinstellungen lege ich selbst fest, welchen Daten in den Google-Diensten gespeichert und verwendet werden. In Facebook kann ich unerwünschte Werbung verbergen. Eine Wohltat im Vergleich zu den Dauerwerbesendungen im traditionellen Fernsehen.

Dank digitaler Technologien löst sich unsere Gesellschaft immer feiner auf. Christoph Kucklick spricht von der granularen Gesellschaft. Wir erleben eine Messrevolution, können das soziale Leben, die Kommunikation, die Natur oder unseren Körper viel feinkörniger vermessen und erfassen als je zuvor. Würde man meinen. Dies alles funktioniert dann nicht mehr, wenn es um unsere Regierungen und ihre Verwaltungen geht. Zwar kommt auch hier dem Schutz von Randgruppen besondere Bedeutung zu. Vor allem dann, wenn diese Minderheiten mediale Aufmerksamkeit und politische Rendite versprechen. Gilt es aber wirklich ernst, dann bleibt nur der politische Holzhammer. Auf die Herausforderungen von Covid-19 reagierten die Behörden mit kollektiver Ausgrenzung. Als Unterscheidungsmerkmal diente einzig das Alter. Ab dem fünfundsechzigsten Altersjahr war man Risikogruppe und stand unter Hausarrest. Unabhängig vom gesundheitlichen Zustand, unabhängig von der Lebensweise, unabhängig von Vorerkrankungen, unabhängig von den Lebensumständen. Einzelhandelsgeschäfte und Restaurants wurden kollektiv geschlossen. Weder die Kundenstruktur, noch das Geschäftsmodell oder die Ansteckungsgefahr vor Ort interessierten. Alle Behandlungen in den Spitälern, die man verschieben konnte, verschob man. Und führte Kurzarbeit ein. Undifferenzierter geht es nicht. Der Bundesrat zielte im wahrsten Sinne des Wortes mit Kanonen auf Viren.

Dass es auch anders geht, bewies Taiwan. Hier reagierte man rasch. Als der mittlerweile verstorbene Arzt Li Wenliang Ende Dezember 2019 in Wuhan in den sozialen Medien vor den Gefahren des neuen Virus warnte, wurden diese Informationen sofort zum kollektiven Aufklärungssystem «Center for Disease Control» (CDC) weitergeleitet. Dieses bedient die Bevölkerung über eine kostenfreie Nummer mit allen aktuellen Informationen. Die Daten zu den Lagerbeständen an Masken in den Apotheken wurden alle drei Minuten aktualisiert und veröffentlicht. Am 25. Januar schloss Taiwan seine Grenzen für Besucher aus der Volksrepublik China, Hongkong und Macau. Touristenreisen nach China wurden verboten. Gleichzeitig begannen die Behörden mit dem Aufbau eines digitalen Tracking-Systems, mit dem die Datenbanken der staatlichen Gesundheitsbehörde und die der Einwanderungs- und Zollbehörde zusammengefasst wurden. So konnte man die Reiserouten, Kontaktwege und Krankheitssymptome jedes Einreisenden nachverfolgen und damit zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Infektionsketten unterbrechen. Es gab keinen Lockdown. Universitäten, Schulen, Restaurants und Geschäfte blieben geöffnet, sogar die Fitnessstudios. Während der Bundesrat in der Musterdemokratie Schweiz die Freiheitsrechte massiv einschränkte, setzte Taiwan auf Freiwilligkeit. Trotz der Nähe zu China beklagt Taiwan bis heute lediglich sieben Todesfälle, die mit Covit-19 in Verbindung gebracht werden. Und dies bei knapp 24 Millionen Einwohnern. Digitale Kompetenzen in der Bekämpfung der Pandemie machen den Unterschied. more