Nebelspalter Politik

Weshalb das EU-Vertragspaket bei der Bundesverwaltung grenzenlose Begeisterung auslöst.

Dies gelesen: «Die Verwaltung löst die meisten Gesetzesprojekte aus.» (Quelle: NZZ, 28.12.2023)

Das gedacht: Im Grunde genommen ist die Sache einfach: National- und Ständerat bilden die Legislative, die gesetzgebende Behörde. Der Bundesrat und die Bundesverwaltung als exekutive Behörde vollziehen diese Gesetze. So steht es in jedem Schulbuch.

Mit diesen verfassungsrechtlichen Grundsätzen hat die Gewaltenteilung von heute allerdings immer weniger zu tun. Auch in der Schweiz. Nicht die gewählten Volksvertreter, sondern die Verwaltung löst die meisten Gesetze aus.

  • Eine aktuelle Studie untersuchte 447 Gesetzgebungsprojekte und Verfassungsrevisionen seit 1972. 225 aller Gesetzesvorlagen gingen auf die Initiative der Verwaltung zurück, also mehr als 60 Prozent.
  • Das Parlament hatte mit Motionen und parlamentarischen Initiativen nur gut halb so viele Gesetzesprojekte lanciert wie die Exekutive. In 26 Fällen stand eine Volksinitiative am Anfang.

Die grosse Mehrheit der Gesetzesprojekte widerspiegelt nicht den Gestaltungswillen des Volkes und des Parlaments, sondern die politische Agenda von Staatsangestellten ohne einen Bezug zu den Unsicherheiten des privaten Sektors und zu den wirtschaftlichen Folgen des eigenen Handelns.

Die Verwaltung ist schon längst der entscheidende Taktgeber in der Bundespolitik. Und dabei ist das Gesetzgebungsverfahren nur die Spitze des Eisbergs.

  • Die wirkliche Macht der Verwaltung liegt im Erlass von Verordnungen, Richtlinien und Empfehlungen.

Zum Beispiel in der Frage von Frauenquoten. Die Sportförderungsverordnung des Bundes schreibt vor, dass alle Sportorganisationen, die Bundesgelder erhalten, in ihren Leitungsgremien eine Frauenquote einhalten müssen. Die Vergabe von Subventionen wird von der Bundesverwaltung als Druckmittel eingesetzt, um politisch nicht mehrheitsfähige Regelungen durchzusetzen.

EU-Vertragspaket als Brandbeschleuniger

Nur, damit ist noch nicht genug. Mit dem EU-Vertragspaket steht der nächste Brandbeschleuniger in Richtung von mehr Verwaltungsmacht in den Startlöchern. Entfacht werden soll das Feuer mit einem Mitwirkungsverfahren, das als «Decision Shaping» verkauft wird. Ein Verfahren, das in dreifacher Hinsicht bemerkenswert ist:

  1. Für die – mit den Worten der EU – grösstmögliche Teilnahme am Prozess zur Ausarbeitung von EU-Rechtsakten gibt es keinen Begriff in einer unserer Landessprachen. Eine Tatsache, die aufzeigt, dass die angedachte institutionelle Mitwirkung meilenweit vom politischen System der Schweiz entfernt ist.
  2. Die Mitwirkung der Schweiz bei Gesetzesvorschlägen, Richtlinien und Rechtsakten der Europäischen Kommission mit Folgen für die Schweiz beschränkt sich auf eine Teilnahme ohne Stimmrecht und dies nur in der Vorbereitungsphase. Mehr nicht.
  3. Von der EU zur Mitwirkung eingeladen werden ausschliesslich Sachverständige. Diese kommen aus der Bundesverwaltung oder bestehen im Ausnahmefall aus externen Experten, die von der Bundesverwaltung delegiert werden. Der Verwaltungsapparat und nicht die Politik vertreten die Interessen der Schweiz.

Mit dem EU-Vertragspaket wird die Bundesverwaltung endgültig zur Hauptdarstellerin im Polittheater. Das eidgenössische Parlament und das Volk sitzen in den Zuschauerrängen und dürfen nach Beendigung der Vorstellung im Rahmen der parlamentarischen Diskussion oder einer Volksabstimmung ihre Zustimmung oder Ablehnung zum Ausdruck bringen. Dies erst noch unter Androhung von Vergeltungsmassnahmen im Falle einer negativen Entscheidung.

Sprachlose Bundesräte

Die EU-Verwaltung ist der wahrgewordene Traum jedes Bürokraten. Die Europäische Union funktioniert, so Oliver Zimmer, in der Tradition des aufgeklärten Absolutismus:

  • Wohlwollende Herrscher sorgten damals für das Glück des einfachen Volkes. Die Fürsten jener Zeit sind die administrativ geschulten Beamten von heute. Politische Entscheidungsprozesse verlaufen von oben nach unten.
  • Die Macht konzentriert sich bei der Verwaltung und den Gerichten. In diesem Weltbild sind Parlamente ein Störfaktor, von Volksentscheiden ganz zu schweigen.

Dass die mit dem EU-Vertragspaket einhergehende Verlagerung der politischen Macht in Richtung von Staatsangestellten und Experten bei weiten Teilen der Bundesverwaltung im eigentlichen Sinne des Wortes grenzenlose Begeisterung auslöst, dokumentierte die Medienorientierung vom 13. Juni. Angepriesen wurde das EU-Vertragspaket von Bundesrat Cassis, flankiert von einer Schar von Staatssekretärinnen und Chefbeamten.

  • Sprachlos dagegen waren die für die Finanzen, die Volkswirtschaft, das Innere und die Justiz zuständigen Bundesrätinnen und Bundesräte. Obwohl das EU-Vertragspaket ihre Zuständigkeitsbereiche in hohem Masse tangiert, übernahmen Spitzenbeamte das Szepter.

Machen wir uns nichts vor. Auch die Schweiz leidet unter Zentralisierung und Bürokratisierung. Vor zwanzig Jahren arbeiteten in der Bundesverwaltung zu Vollzeitäquivalenten etwas mehr als 30’000 Personen. Heute sind es rund 40’000. Immerhin, dank der direkten Demokratie haben wir es selbst in der Hand, diese Fehlentwicklung zu stoppen. Wir müssen nur wollen.

Rettungsring aus Beton

Mit dem Zollhammer von Trump hat die Frage der Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft an gnadenloser Aktualität gewonnen. Die Zeiten, als wohlfahrtsstaatliche Träumereien auf dem Buckel privater Unternehmen durchgesetzt werden konnten, sind vorbei. Die Schweiz braucht ein umfassendes gesellschafts- und wirtschaftspolitisches Fitnessprogramm. Der Weg dazu führt über einen schlanken Staat.

Um zu verstehen, dass dies mit einer weiteren Annäherung an die EU nicht gelingen wird, genügt ein Blick in den 931-seitigen erläuternden Bericht des Bundesrates zum EU-Vertragspaket. Mehr Bürokratie und mehr Verwaltungsmacht geht nicht.

Die einseitige Übernahme von EU-Recht und von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs ist kein wirtschaftspolitischer Befreiungsschlag, sondern ein Rettungsring aus Beton.

Erstpublikation am 12.8.2025 auf www.nebelspalter.ch

2 Responses

Peter Wiedl sagt:

Die Zunahme der Macht der Verwaltung und das damit ungehinderte Wachstum der Bürokratie ist Besorgnis erregend. Gemäss Institut GfS haben wir in der Schweiz eine Staatsquote von 50%, die Staatsnahen Betriebe eingerechnet. Ich befürchte, dass mit der Hälfte der Stimmbürger:innen mit Abhängigkeit von einem Staatseinkommen die Bereitschaft zum Abbau dem Willen zu noch mehr Macht gewichen ist. Damit wird sich der Staatsapparat in einer Generation selbst killen. Denn irgendwer muss am Morgen aufstehen und Gewinn erwirtschaften. Wenn der wirtschaftliche Erfolg der Schweiz nicht mehr im Vordergrund steht, wird sich der Staat selbst ruinieren. Beispiele gibt es genug. Da wird es auf Dauer nur Verlierer geben. Bürgerinnen und Bürger wie Kurt Weigelt, die sich kritisch äussern, sind konstruktiv und positiv für unser Land denkende Stimmen. Sie müssen Beachtung finden!

Diese Darlegung sollten alle lesen, auch Führungspersonen in der Wirtschaft, die noch nicht begriffen haben, wie der Behördenapparat funktioniert. Herzlichen Dank für diesen anregenden Beitrag, und ich hoffe, die Schweiz bleibt dabei, ihren eigenen Weg, zu gehen, ohne institutionelle Einbindung in die EU.

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