Am Ende helfen nur leere Kassen: Der Abschied vom Regulierungswahn
Dies gelesen: «Neue Regeln für die Innenstadt: Das gilt für Gartenbeizen und Läden» (Quelle: Tagblatt, Stadtticker, 20.8.2025)
Das gedacht: Ein neuer Leitfaden der Stadt St.Gallen erklärt den Restaurantbetreibern, «wie Einrichtungen auf öffentlichem Grund für die Aussengastronomie platziert werden dürfen».
Dies im Zusammenhang mit durchaus positiven Nachrichten. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Strassencafés in der Stadt St.Gallen mehr als verdoppelt. Vieles, was früher verboten war, ist heute erlaubt. Dies gilt auch für die Ausstattung der Restaurants.
Ordnung muss sein
Allerdings, ganz so einfach ist die Sache nicht. Wer als Gastronom im Sommer seine Gäste auf der Strasse bedienen will, braucht nicht nur eine Bewilligung der Polizei, sondern zusätzlich eine Baubewilligung. Ordnung muss sein.
Dazu gehört beispielsweise, dass der Abstand zwischen zwei Kübelpflanzen mindestens 2 Meter betragen muss. Oder, dass nur eine dezent wirkende Beleuchtung mit warmweissem Licht zulässig ist. Nicht erlaubt sind Bartheken aus Scheiterbeigen und Schwartenbrettern sowie Loungemöbel und Wärmestrahler.
Overkill an gesetzlichen Grundlagen
Über Sinn oder Unsinn der einzelnen Vorschriften kann man durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Der ganz normale Wahnsinn liegt denn auch nicht in den Massnahmen an sich als vielmehr im Overkill an gesetzlichen Grundlagen.
Um dies zu verstehen, genügt ein Blick in die gesetzlichen Bestimmungen, die bei der Bewilligung eines Strassencafés berücksichtigt werden müssen:
- Schweizerisches Umweltschutzgesetz (USG)
- Schweizer Lärmschutzverordnung (LSV)
- Behindertengleichgestellungsgesetz (BehiG)
- Verkehrsregelverordnung (VRV, Art. 41)
- Kantonales Strassengesetz (StrG – sGS 732.1, Art. 17 und 21)
- Kantonales Planungs- und Baugesetz (PBG – sGS 731.1)
- Städtisches Immissionsschutzreglement (ISR – SRS 751.1)
- Städtische Bauordnung (BO – SRS 731.1)
- Städtisches Reklamereglement (SRS 731.2.)
- Städtische Gebührentarife der Stadtpolizei (SRS 412.112)
Dazu kommen rechtsverbindliche Normen, die von privaten Organisationen wie dem Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein SIA erlassen werden, sogenanntes Soft Law:
- Schweizer Norm SN/SIA 500 «Hindernisfreie Bauten»
- Schweizer Norm SN 640.070 «Fussgängerverkehr, Grundnorm»
- Schweizer Norm SN/VSS 640.075 «Fussgängerverkehr, Hindernisfreier Verkehrsraum»
- Richtlinien «Behindertengerechte Fusswegnetze», Fachstelle Hindernisfreie Architektur
Mit anderen Worten, um 2 Kübelpflanzen, 4 Tische und 8 Stühle auf die Strasse zu stellen, braucht es 10 Gesetze und 4 Regelwerke von privaten Vereinen.
Dieses Dickicht an gesetzlichen Vorschriften erklärt, weshalb es heute selbst für banale staatliche Handlungen einen Hochschulabschluss braucht. Die Akademisierung der Staatsverwaltung hat nichts mit den zu erledigenden Aufgaben zu tun. Vielmehr ist diese eine direkte Folge der Überregulierung. Der gesunde Menschenverstand hat keine Chance.
Gesetzgebungsmaschine läuft auf Hochtouren
Dass die überbordende Bürokratie jede Eigeninitiative beschädigt und den Staatshaushalt ruiniert, hat in der Zwischenzeit jedes Kind begriffen. Selbst die EU-Kommission hat neue Vorschläge für weniger Bürokratie und einfachere Vorschriften für Unternehmen angenommen. Dies mit dem Ziel, die EU-Wirtschaft wohlhabender und wettbewerbsfähiger zu machen
Auch Bundesbern beschäftigt sich regelmässig mit dem Kampf gegen die Bürokratie. Dazu gehört eine eigene ausserparlamentarische Kommission. Das KMU-Forum verabschiedet Massnahmen zur Reduktion der administrativen Belastung der Unternehmen.
Mit zweifelhaftem Erfolg. Die Gesetzgebungsmaschine läuft auf Hochtouren. Das Schweizer Landesrecht umfasste im Jahre 2020 über 37’000 Seiten. Eine Zunahme von 46 Prozent innerhalb von 16 Jahren.
Das Parlament hat deshalb zur Senkung der Regulierungskosten ein weiteres Gesetz nachgelegt, das Unternehmensentlastungsgesetz. Dieses setzt auf verwaltungsinterne Prüfpflichten, eine Regulierungskostenabschätzung, ein Monitoring, Bereichsstudien und eine regelmässige Berichterstattung durch den Bundesrat.
Wer abnehmen will, muss weniger essen
Nur, machen wir uns nichts vor. Jeder Versuch, die überbordende Bürokratie mit zusätzlichen Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien und Checklisten in den Griff zu bekommen, ist zum Scheitern verurteilt. Auch dieses Feuer lässt sich nicht mit Benzin löschen.
Wer abnehmen will, muss weniger essen. So einfach ist es. Dies gilt auch für unsere Gemeinwesen. Erst wenn das Geld ausgeht, werden sich Politik und Verwaltung von ihrem Regulierungswahn verabschieden.
Die leeren Kassen im Bund und in vielen Kantonen und Gemeinden sind ein Glücksfall. Strukturelle Defizite zwingen uns, den Gürtel enger zu schnallen, die Bürokratie abzubauen und die Staatstätigkeit auf das Notwendige zu beschränken.
Gelingt dies nicht, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch bei uns Kettensägen zum Thema werden. Spätestens dann wird es niemanden mehr interessieren, welcher Abstand zwischen zwei Kübelpflanzen den Vorstellungen der Verwaltung gerecht wird.
Erstpublikation am 21.10.2025 auf www.nebelspalter.ch

